Aserbaidschan

Prestige für die Diktatur

Bei der Punktevergabe für den Eurovision Song Contest 2012 fand Anke Engelke klare Worte für das Gastgeberland: „Europa beobachtet dich, Aserbaidschan“, verkündete die Moderatorin und der Jubel in Deutschland war groß. Es klang, als würde sich Europa nun für die Menschenrechte in Aserbaidschan einsetzen. Drei Jahre später richtet das Land wieder ein Großereignis aus: Am 12. Juni werden die olympischen Europaspiele in Baku eröffnet. 2012 bekam Aserbaidschan dafür den Zuschlag – als einziger Bewerber, der sich bereit erklärt hatte, sämtliche Kosten für die mehr als 6.000 Athleten zu tragen.

Doch während die Regierung mit den Spielen versucht, ein positives Bild von Aserbaidschan zu zeichnen, hat sich die Menschenrechtssituation im Land verschlechtert. Fast wehmütig berichten Oppositionelle in Baku wie auch im deutschen Exil, dass vor drei Jahren zum Song Contest Protestaktionen noch möglich waren. Mittlerweile suchen viele Aktivisten in Europa Asyl oder sind untergetaucht. 

Zehn Menschenrechtler, Journalisten und Blogger wurden 2014 verhaftet – im selben Jahr, als Aserbaidschan den Vorsitz im Ministerkomitee des Europarats inne hatte. Die einzige oppositionelle Zeitung des Landes „Azadliq“ erscheint unter politischem und wirtschaftlichem Druck nur noch unregelmäßig. Im Ranking der Informationsfreiheit von Reporter ohne Grenzen liegt Aserbaidschan dieses Jahr auf Platz 162 von insgesamt 180 Ländern.


Lange Liste der Verhafteten

Schlagzeilen machte zuletzt die Verhaftung der regierungskritischen Journalistin Khadidja Ismailova im vergangenen Dezember. Sie hatte sich intensiv mit den Geschäften der Präsidentenfamilie Aliyev beschäftigt. Die Vorwürfe gegen sie lauten unter anderem Steuerhinterziehung und Machtmissbrauch.

Ende Juli 2014 kam die renommierte Menschenrechtsverteidigerin Leyla Yunus unter dem Vorwurf des Hochverrats in Haft. Sie ist eine der wenigen noch aus der späten Sowjetzeit bekannten Oppositionellen und hatte sich unter anderem für eine Versöhnung mit dem Nachbarn Armenien eingesetzt. Vielen Aserbaidschanern gilt über 20 Jahre nach dem Verlust Berg-Karabachs an Armenien bereits jedes friedliche Treffen mit Armeniern als Verrat.

Bis zu ihrer Verhaftung arbeitete Yunus mit dem inzwischen ebenfalls verhafteten und wegen Hochverrats verurteilten Menschenrechtsaktivisten Rasul Jafarov zusammen an einer Liste der politischen Gefangenen in Aserbaidschan. Im Mai 2015 umfasste diese Liste, von anderen Aktivisten weitergeführt, 80 Namen – darunter auch den Historiker Arif Yunus, den Ehemann von Leyla Yunus.


Kritik an teuren PR-Projekten

Nicht nur für politische Kritiker wird das Leben in Aserbaidschan immer schwerer. Der Verfall des Ölpreises setzt das Land, dessen Staatshaushalt auf Ölförderung ausgerichtet ist, wirtschaftlich unter Druck. Ging man im vergangenen Jahr von 90 Dollar pro Barrel aus, war ein Barrel Anfang 2015 nur noch 62 Dollar wert. Als Folge wurde der Aserbaidschanische Manat abgewertet und die Preise für Lebensmittel stiegen deutlich an. Gleichzeitig wurden die Gehälter staatlicher Angestellter gekürzt, um die Europaspiele zu finanzieren.

Mit der Angst vor der Zukunft steigt in der Bevölkerung langsam die Kritik an den teuren Prestigeprojekten der Regierung. Zu ESC-Zeiten überwog bei vielen Aserbaidschanern noch der Stolz auf das glitzernde, saubere Baku und die internationale Aufmerksamkeit. Nun wird die Wut über die sinkenden Löhne und die steigenden Preise immer lauter. „Allmählich werden die Menschen wach und sehen, dass es so nicht weitergehen kann,“ erklärt ein junger Wirtschaftswissenschaftler in Baku. Viel Hoffnung auf Veränderung hat er trotzdem nicht: „Die Leute sehen die Ukraine oder Syrien und denken, dass es immer nur schlimmer wird, wenn man sich wehrt.“ So denkt auch eine junge Lehrerin, die trotz einer Gehaltskürzung keine Sympathie für die Opposition aufbringen kann: „Aliyev macht Fehler. Aber keine Alternative ist besser.“

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Quellen:

- Persönliches Interview mit aserbaidschanischem Menschenrechtler und Human Rights Watch-Mitarbeiter

- Persönliches Interview mit einer Gruppe Oppositioneller in Baku, 12.3.2015

- International Partnership Group on Azerbaijan: Baku 2015 European Games. Media Pack 2015. 

- Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen


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